Das Förderprogramm transform_D der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) geht in die nächste Runde. Ein guter Anlass für ein Gespräch mit Philipp Berg. Er hat bei der DSEE als Programmverantwortlicher für transform_D einen einzigartigen Blick auf Transformationsprozesse gemeinnütziger Organisationen. Und vielleicht auch einen Tipp, wie ihr an die 100.000 Euro Fördersumme gelangen könnt.
WECHANGE: Wie würdest du den Stand der Digitalisierung im Ehrenamt beschreiben?
Philip Berg: Von null bis hundert – alles dabei. Es gibt 650.000 Vereine in Deutschland, 25.000 Stiftungen – und damit eine unglaubliche Bandbreite. Einerseits die klassischen Strukturen: Vorstandssitzung alle zwei Wochen im Vereinsheim, Protokoll im Leitzordner, Nachwuchsprobleme. Teilweise sind es auch einfach Themen, die nicht mehr so ziehen – Kegeln ist vielleicht kein Zukunftsthema mehr. Und dann gibt es am anderen Ende Organisationen, die topdigital aufgestellt sind, Schnittstellen nutzen, Prozesse automatisieren – und tatsächlich spannende KI-Projekte hervorbringen.
WECHANGE: Die Welt ist längst digital, und wer Einfluss haben will, muss auch digital präsent sein. Gleichzeitig sind wir stark von großen Konzernen abhängig. Siehst du eine Chance, dass sich die Zivilgesellschaft digital unabhängig aufstellen kann?
Berg: Ja und nein. Es kommt auf den Bereich an. Ich glaube nicht, dass wir in Europa einmal eine Suchmaschine mit ähnlicher Wirkmacht wie Google sehen werden. Aber es gibt funktionierende Open-Source-Lösungen. Nehmen wir Kollicloud – das ist ein Single-Sign-On-Arbeitsplatz, der komplett auf Open-Source-Komponenten läuft. Solche Lösungen können durchaus Alternativen zu Google Workspace oder Microsoft Teams bieten – genauso wie auch eure WECHANGE-Portale. Oder im Bereich Verwaltungen: da ist OpenDesk ein spannendes Projekt. Diese Lösungen gibt es bereits – und in manchen Bereichen müssen wir klar in diese Richtung gehen. Was wäre, wenn irgendwann jemand entscheidet: Dann schalten wir eben Google und Microsoft ab?
WECHANGE: Oder Meta. Viele Organisationen vernetzen sich noch immer über Facebook und WhatsApp. Gerade im Ehrenamt ist das problematisch: Algorithmen rücken häufig die Probleme ins Licht, nicht die Menschen, die sie lösen.
Berg: Absolut. Und die Abhängigkeiten verschärfen sich durch die KI. Wenn Google jede E-Mail für KI-Training nutzt, entsteht eine Datenmenge, mit der niemand konkurrieren kann. Das führt zu einem enormen Ungleichgewicht – und oft ohne unsere Datenschutzstandards. In manchen Bereichen wird es dadurch schwierig. In anderen gibt es Chancen, vor allem, wenn wir es schaffen, europäische Lösungen gemeinsam zu entwickeln.
WECHANGE: Wo kommt die DSEE ins Spiel?
Berg: Ich habe vor knapp fünf Jahren bei der DSEE angefangen – mitten in der zweiten Corona-Welle. Damals brauchten Organisationen plötzlich Videokonferenztools, Laptops, Software. Heute beschäftigt sich fast jeder zweite Antrag mit KI. Das zeigt, wie rasant sich das entwickelt.
Die Idee von transform_D ist, diese Themen aus zivilgesellschaftlicher Perspektive mitzugestalten. Es geht um Fragen wie Datenumgang, Hosting oder proprietäre vs. Open-Source-Lösungen. Wenn die Zivilgesellschaft nicht mitredet, entstehen Ergebnisse, mit denen am Ende viele unzufrieden sind. Darum wollen wir Organisationen befähigen, gemeinwohlorientierte Lösungen zu entwickeln.
WECHANGE: Von welchem technischen Niveau sprechen wir? Nutzen die Projekte KI-Tools oder entwickeln sie auch?
Berg: Eigenentwicklungen entstehen überall – da ist zum Beispiel Reflecta, das einen Fördermittel-Kompass entwickelt. Der entwirft automatisiert Anträge, Finanz- und Meilensteinpläne und schlägt passende Fördertöpfe vor. Da steckt schon viel Eigenentwicklung drin. Aber ansonsten ist das wirklich bunt gemischt.
WECHANGE: Kannst du sagen, welche Bereiche besonders gute Chancen haben?
Berg: Nicht pauschal. Am Ende hängt es vom Antrag ab: von der geschilderten Herausforderung, der Lösung und den Menschen, die das umsetzen wollen. Manchmal kommen Anträge, da sagt ein Tennisverein: ‚Wir wollen jetzt eine KI entwickeln.‘ Da habe ich natürlich erst einmal Fragen. Genau deshalb fragen wir in der Interessenbekundung explizit ab, was die Organisation qualifiziert, das Projekt erfolgreich umzusetzen.
WECHANGE: Kann ich mich auch als Einzelperson bewerben?
Berg: Bei transform_D nicht direkt. Dafür ist die Fördersumme zu groß. Man braucht eine rechtsfähige, gemeinnützige Organisation – Verein, gGmbH, UG.
WECHANGE: Mit welchen Projekten kann ich mich bewerben?
Berg: Bei transform_D gibt es bis zu 100.000 Euro – das ist eine andere Hausnummer als viele andere DSEE-Förderungen. Organisationen, die nur ihre Website hübscher machen wollen, hätten keine Aussicht auf Erfolg, da sind andere Förderansätze der DSEE erfolgversprechender. Das Ziel ist immer die Gemeinwohlorientierung: Projekte sollen einen Mehrwert schaffen, der über die einzelne Organisation hinausgeht. Es gibt zwei Förderlogiken: Innovation – eine wirklich neue Idee. Oder Skalierung – etwas funktioniert schon und soll erweitert werden.
WECHANGE: Was macht einen guten Antrag aus?
Berg: Die besten Anträge entstehen, wenn eine Organisation sagt: ‚Hey, wir haben hier eine Idee, dafür brennen wir.‘ Das ist immer authentischer als zu überlegen: ‚Was wollen die wohl hören?‘ Wir suchen keine Projekte aus Eigeninteresse, sondern gute Lösungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wir wollen wissen, was deren Ideen sind – sie kennen die Herausforderungen vor Ort am besten.
WECHANGE: Drei Tipps für einen gelungenen Antrag?
Berg: Auf den Punkt kommen. Die transform_D-Formulare sind bewusst begrenzt – maximal 2.000 Zeichen pro Feld, manchmal nur ein Satz. Diese Beschränkung zwingt dazu, die Kernidee präzise zu formulieren.
Leidenschaft zeigen. Wir wollen spüren, dass das Team für die Idee brennt.
Texte individualisieren. KI-Tools sind okay, aber bitte redigieren. Generische Copy-Paste-Texte erkennt man sofort.
WECHANGE: Welche Fehler passieren häufig?
Berg: Vor allem Überladen: zu viele Anhänge, zusätzliche Botschaften, die gar nicht gefragt sind. Unsere Interessenbekundung fragt klar nach Herausforderung, Lösung, Maßnahmen, Bezug zum Schwerpunktthema und Qualifikation. Bitte dabei bleiben, das macht es einfacher für uns. Wir prüfen wahrscheinlich tausend Interessenbekundungen innerhalb von vier Wochen. Das ist wie früher in der Schule beim Klausuren korrigieren: Wenn deine Handschrift so schlecht war – und das war bei mir immer so –, dass es keinen Spaß machte zu lesen, hattest du einfach ein Problem.
WECHANGE: Gibt es sonst noch etwas, das wir wissen sollten?
Berg: Wer mehr erfahren will, kann sich direkt auf unserer Website informieren oder an einem unserer Webinare teilnehmen. Das nächste findet am 18. September, 17 Uhr, statt. Und natürlich freuen wir uns über Anträge aus eurer Community.
WECHANGE: Vielen Dank für das Gespräch!
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Anmerkung der Redaktion: Wir distanzieren uns von der These, dass „Kegeln vielleicht kein Zukunftsthema“ ist 😊. Wenn ihr als Kegelverein eure Leitzordner in die digitale Welt überführen wollt, könnt ihr auf unserer kostenlosen Plattform wechange.de die ersten Schritte machen. Und wenn ihr als Organisation eine Idee habt, wie ihr unsere Whitelabel-Lösung innovativ für das Gemeinwohl einsetzen könnt, schreibt uns und bewerbt euch bei der DSEE.